Konsequent texten – jedenfalls meistens

„Entweder man lebt, oder man ist konsequent“, fand Erich Kästner. Das stimmt.  Trotzdem geht es beim Texten oft darum, so konsequent wie möglich sein, sich selbst Regeln aufzuerlegen und die dann zu befolgen  – unter dem Vorbehalt, dass man vielleicht doch mal abweichen und Kompromisse eingehen muss.

Es gibt nämlich gute Gründe für eine solche Konsequenz:

Erstens: Klarheit

Man möchte die Leserschaft so wenig wie möglich verwirren. Deshalb verwendet man konsequent die gleichen Schreibweisen, erklärt wenig bekannte Abkürzungen, wenn sie das erste Mal auftauchen, und vermeidet es, einen bunten Strauß an Synonymen einzusetzen.

Es soll wohl Vielfalt suggerieren, Boris Becker in einem Artikel nicht immer nur Boris Becker zu nennen, sondern auch mal „den Leimener“ – das setzt allerdings voraus, dass die Leserin weiß, dass Becker in einem Ort namens Leimen geboren ist. Anderenfalls fragt sie sich: „Wer ist denn nun schon wieder dieser Herr Leimener?“

Beliebt sind auch körperliche Merkmale wie „die hochgewachsene Blondine“, „der elegant gekleidete Maßanzugträger“, Angaben zum Beruf („die studierte Chemikerin“) oder Familienstatus („der fünffache Vater“). Als Leser sind wir es gewohnt, die Verbindung zu ein und derselben Person herzustellen, aber zu viel Kreativität kann an dieser Stelle irritieren.

Zweitens: Glaubwürdigkeit

Hierzu ein Beispiel: Ein Unternehmen sucht Auszubildende und möchte junge Leute ansprechen. Auf der geplanten Website sollen die jugendlichen Besucher daher geduzt werden. Und überhaupt soll die Sprache (neudeutsch: Tone of Voice) der neuen Online-Präsenz locker, voll teenagermäßig und sehr, sehr simple sein. Also, simpel im Sinne von: Wir benutzen möglichst nicht mal Substantive – zu kompliziert!

Warum nicht?, denken Sie jetzt vielleicht. Es stellt sich dann jedoch heraus, dass in der Ausbildung auf gar keinen Fall geduzt wird. Vielmehr werden die Jugendlichen von Anfang bis Ende gesiezt und mit Nachnamen angesprochen. Auch sonst ist die Sprache des Unternehmens sehr formell, anspruchsvoll und voller Fachbegriffe. Aber auf der Website, da soll alles anders sein.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin sehr für einen verständlichen Ausdruck und eine authentische Ansprache. Nur werden hier Tatsachen vorgegaukelt, die ganz und gar nicht so sind. Mir ist auch klar, dass das Vorgaukeln von Tatsachen eine Kernaufgabe von Werbung und PR ist. Allerdings finde ich, die Lücke zur Wirklichkeit sollte nicht allzu groß sein. Vor allem nicht, wenn die Chance, dass sie entdeckt wird, bei 100 Prozent liegt.

Achtung! Ernüchterung

Die Enttäuschung der Jugendlichen ist nämlich vorprogrammiert, sobald sie mit dem echten Unternehmen Kontakt aufnehmen. Wenn der Arbeitgeber konsequent Jugendliche ansprechen möchte, würde es mehr Sinn machen, sich als Organisation zu modernisieren und die eigene Sprache weiterzuentwickeln. Offensichtlich empfindet man sich selbst ja als altmodisch und uncool.

Oder aber man steht einfach dazu, wie man ist. Und findet einen guten Kompromiss: Siezen, aber Fachbegriffe erklären.

Noch verrückter wurde es übrigens, als sich herausstellte, dass das gleiche Unternehmen auch erfahrene Fachkräfte sucht. Die sollten ebenfalls über dieselbe obercoole Teenager-Website angesprochen werden – allerdings per Sie.

Da sehnt man sich dann doch nach etwas Konsequenz.