Der Grammatik sein Tod

Wer heute ein deutsches Buch aus den 50ern oder 60ern liest, staunt über scheinbar mühelos hingeschlonzte Bandwurmsätze, die eines Thomas Mann würdig gewesen wären. Das kann man genießen – es fällt vielen Menschen aber zunehmend schwer, diese Sätze auf Anhieb zu verstehen.

In Zeiten von Messaging und Social-Media-Infohäppchen sind wir es nicht mehr gewohnt, uns auf verschachtelte Satzkonstruktionen einzulassen. Aus der Verständlichkeitsforschung weiß man: Das Gehirn kann kurze, simpel konstruierte Sätze besser verarbeiten. Und da wir heute viel mehr Informationen aufnehmen als vor 100 Jahren, ist der Siegeszug der verständlichen Sprache durchaus zu begrüßen. Allerdings geht damit auch die Fähigkeit verloren, komplexe Sätze selbst zu bauen. Denn dafür muss man die Grammatik in der Tiefe beherrschen.

Während sich bestimmte häufige Rechtschreibfehler (ecklig – korrekt: eklig, hälst – korrekt: hältst) vielleicht irgendwann als legale Variante im Duden wiederfinden, sind Grammatikfehler gefährlicher. Sie machen den Satz unverständich und verändern ggf. sogar die Bedeutung. Bei „kein Bock haben“ (falsch: Nominativ, richtig „keinen Bock haben“, Akkusativ) fällt es noch nicht so auf.

Aber wenn ich Sätze lese oder höre wie „Qualität hat seinen Preis“, platzt mir die Hutschnur. Alles (sächlich) hat seinen Preis, und Qualität (weiblich) den ihrigen. Sucht etwas „seinesgleichen“ oder „ihresgleichen“? Es kommt ganz drauf an. Das Versagen (sächlich) der Geschäftsführung sucht seinesgleichen, die Fahrlässigkeit (weiblich) der Behörde wiederum ihresgleichen. Solche Konstruktionen werden für manche unbeherrschbar, wenn sie sie auch noch in lange Sätze einbauen. Am Ende des Satzes hat man schon vergessen, was man eigentlich am Anfang sagen wollte. Das kann schon mal passieren im Deutschen. 😀

Es ist auch Mode geworden, „den Opfern“ (Dativ) zu gedenken. Nein, es wird „der Opfer“ gedacht, denn das Verb „gedenken“ fordert den Genitiv. Nun sollte man sich vielleicht das Gedenken nicht von grammatikalischem Versagen madig machen lassen – aber mich lenkt das sehr von der eigentlichen Botschaft ab. So wie eigentlich immer, wenn mir Grammatikfehler in freier Wildbahn begegnen.

 

Foto von Parrish Freeman auf Unsplash